Interview: Thomas Edlinger
/// PDF Printversion /// Autor: admin“Je größer die Differenzierungsfähigkeit, desto reichhaltiger wird das, was man sehen oder erfahren kann.“
Wie geht Kunst traf Thomas Edlinger am 26. Juli 2006 im Café Kunsthalle in Wien. Das Interview führten Conny Habbel und Marlene Haderer.
WgK: Welches Kunstwerk hat Sie in ihrem Leben besonders
beeindruckt?
Edlinger: Da gibt es zum Beispiel die Arbeit Western Recordings von Mathias Poledna aus dem Jahr 2003. Die Filminstallation handelt von der Nachstellung der Produktion des Stücks City Life von Harry Nilsson in dem legendären Studio 3 in Los Angeles aus dem Jahr 1969, also jener popkulturellen Transformationsperiode, in der sich der authentizitätsversessene Expressionismus des Rock mit der hochgradig künstlichen Studiosoundtüftelei zu überlagern begann. Die Raffinesse dieses ebenso verführerischen wie reflexiven Werks liegt darin, einen sich als dokumentarisch ausweisenden, analytischen Blick auf die artifizielle Studioatmosphäre mit subtilen Verschiebungen dessen zu destabilisieren, was wir als historisches Wissen über Stil, Mode, Körperlichkeit usw. als gesichert betrachten. Geschichte wird hier gleichsam dekonstruktiv rekonstruiert – als Inszenierung ihrer trügerischen Informationswerte. Ein reenactment, das dem latenten Fetischismus affektiv besetzter Erinnerung kritisch Rechnung trägt.
WgK: Bringt Kunst der Gesellschaft etwas?
Edlinger: Ja… also ja, sicherlich bringt sie etwas. Sie kann natürlich bestimmte Sichtweisen auf gesellschaftliche Probleme akzentuieren oder herstellen, die sonst vielleicht gar nicht vorhanden sind. Sie kann natürlich auch – wenn man das jetzt einmal hochtrabend formuliert – zu einer differenzierteren Weltwahrnehmung beitragen. Gleichzeitig sind natürlich im System Kunst auch alle möglichen Fragen von Machteinschreibung und so weiter vorhanden. Es ist ja nicht so, dass die Kunst ein schöner utopischer Ort wäre, der sich gegen alles Böse der Gesellschaft verschließen, und so etwas wie eine bessere Welt aufbauen könnte. Also wenn man so will, zum Beispiel die Fragen von Gender, von Identitätspolitik, Klassenfragen, soziale Unterscheidungen, die werden einerseits im Feld der Kunst thematisiert, reflektiert, kritisiert, aber natürlich auch fortgeschrieben.
WgK: Kann Kunst etwas, das andere Disziplinen nicht können? Zum Beispiel im Verhältnis zur Wissenschaft?
Edlinger: Das glaube ich schon, weil es in der Kunst zumindest mal keine festgeschriebenen Regeln gibt. Der Regelbruch ist unter Umständen sogar eine produktive Voraussetzung von Kunstmachen im Unterschied zu anderen Formen von Wissensproduktion. Wenn man zum Beispiel auf dem Feld der Chemie etwas weiterbringen will, dann ist es wahrscheinlich unerlässlich, dass man gewisse Voraussetzungen erfüllt. Zum Beispiel dass man schon genug wissen muss, um etwas machen zu können. Das ist glaub’ ich in der Kunst auch so, aber in der Wissenschaft muss man auch ein bestimmtes methodisches Regelwerk einhalten: Was ist ein geglückter Versuch, was ist keiner? Was ist einer der eine Gültigkeit hat, und welcher nicht. Das ist in der Kunst natürlich nicht so. Kunst kann so etwas wie produktive Missverständnisse oder Zusammenschlüsse von Ideen herstellen, die sonst nicht erlaubt sind.
WgK: Soll sich Kunst mit Politik auseinandersetzen?
Edlinger: Man kann es jetzt nicht einfordern, aber ich glaube sie tut das ohnehin, ohne dass man sie danach fragt. Weil das natürlich auch eine gewisse Notwendigkeit ist. Ich meine, es gibt immer den Vorbehalt gegen politisch engagierte Kunst, das ist ja auch vor allem in den neunziger Jahren immer wieder diskutiert worden: „Warum macht man dann nicht gleich Politik? Also warum braucht man sozusagen den Umweg einer politisch engagierten Kunst? Gegen die – teilweise auch zurecht –noch vorgebracht wurde, in Wahrheit ginge es dabei um Distinktionsgewinn von Künstlern untereinander im Kunstfeld: Man behauptet einfach eine bestimmte politische Engagiertheit, die einen dann eher in eine Ausstellung bringt. Aber klarerweise lässt sich ein politischer Gehalt aus der Kunst überhaupt nicht raussperren. Es ist dann eher die Frage, wie der sich äußert, und was dann genau das Politische an der Kunst ist. Ich glaube, politische Kunst ist nicht automatisch die, die ein Transparent aufhängt und sagt: „Wir sind gegen die Wahlpropaganda des BZÖ.“ Also das allein ist nicht unbedingt eine politische Arbeit.
WgK: Was halten Sie von Partizipation in der Kunst? Kunst als Plattform „zum Mitmachen?“
Edlinger: Prinzipiell viel. Ist natürlich ein durchaus sinnvoller Ansatz, der Demokratie nicht nur benennt, sondern sie auch ausübt. Das ist ja die Idee dahinter. Ich glaube, das Missverständnis bei partizipativer Kunst und der Kritik daran ist häufig, dass man sie an irgendwelchen ästhetischen Hervorbringungen oder Ergebnissen misst und nicht berücksichtigt, dass bereits der Prozess der Teilhabe Teil des Werks ist. Das ist oft der Vorbehalt von konservativer Seite, dass da jeder irgendetwas macht und nichts Gescheites dabei heraus kommt. Dabei wird vergessen, dass eben genau die Frage, wen man involviert, welche Form von Öffentlichkeit man herstellt, schon Teil des Projekts ist. Und dass das unter Umständen der fortschrittliche Ansatz dabei ist. Wenn man zum Beispiel verschiedene NGOs in irgendein größeres Projekt einwebt, geht es ja nicht darum, ob sie die besten Videos drehen, die man je gesehen hat, sondern allein um die Tatsache, dass sie Videos drehen und dadurch mit jemand anderem in Verbindung gebracht werden. Das lässt eine Diskussion über bestimmte gesellschaftliche Zustände entstehen, die den Ort der Kunst positiv missbrauchen. Und das wird, glaube ich, oft übersehen. Man darf ja auch nicht vergessen, dass dieser Boom, oder dieses Anwachsen von partizipativen Projekten auch damit zu tun hat, dass auch bestimmte andere Räume für öffentliche Diskussion beschnitten, privatisiert werden und sie nicht mehr in dem selben Maße funktionieren, wie vielleicht noch in den siebziger Jahren. Obwohl wir natürlich, wenn wir von partizipativer Kunst reden, auch da immer von einem kleinen Segment der Kunst reden, denn das andere Segment ist nach wie vor Leipziger Schule: das ist das, was sich verkauft.
Natürlich ist es bei partizipativer Kunst immer eine zweischneidige Sache, denn wenn Kunst dann zur reinen Sozialarbeit verwendet wird, übt das natürlich immer auch eine Entlastungsfunktion gegenüber der wirklichen Sozialarbeit aus. Für die Kunst ist es meiner Meinung nach ein geringes Problem, als Sozialarbeit gedeutet zu werden. Aber es ist unter Umständen ein Problem für die Legitimation von Institutionen, die sich professionell mit Sozialarbeit beschäftigen, dass gesagt wird: „Ja gut, das passiert eh schon, da müssen wir nichts mehr tun.“ Das ist vielleicht das Zweischneidige daran.
WgK: Wir fragen uns nur bei der partizipativen Kunst: Wer wird hierbei überzeugt, der nicht sowieso vorher schon überzeugt war? Wen kann solche Kunst ansprechen? Es partizipieren ja meistens nicht irgendwelche Leute, die von einer ganz anderen Gesellschaftsgruppe oder Gesinnung wären.
Edlinger: Das ist natürlich dieses ewige preaching to the converted-Problem, dass man sich immer nur in den Zirkeln aufhält, die das eh schon wissen, oder die eh schon so denken. Dem würd’ ich jetzt aber doch, in gewisser Weise, widersprechen. Denn die interessantere partizipative Kunst versucht ja genau diesen Brückenschlag zu anderen Bevölkerungsschichten. Und natürlich funktioniert das oft auch nicht, aber das ist trotzdem kein Argument, es nicht mehr zu machen. Die andere Konsequenz wäre dann eine komplette Einigelung oder Hoffnungslosigkeit.
WgK: Kunstzeitschriften, Ausstellungshäuser oder Ausschreibungen, die im derzeitigen Kunstdiskurs als progressiv gelten, bevorzugen häufig Projekte, die entweder partizipatorisch sind oder sich ‚zumindest’ mit Genderfragen beschäftigen, mit Migration, mit prekären Beschäftigungsverhältnissen usw.
Edlinger: Ja. Natürlich wird das wohl oft zum Selbstläufer, und es gibt sicherlich so etwas wie einen, ja… fast schon Kitsch der political correctness, in dem Sinn, dass diese paar Schlagwörter aneinander gereiht werden und dann kann schon nichts falsch sein, dann ist man auf der kritisch richtigen Seite. Aber auf der anderen Seite würde ich trotzdem sagen, man überschätzt die Bedeutung davon. Wenn man sich das Kunstfeld und den Kunstmarkt als Ganzes ansieht, dann läuft das ja nicht nur nach wie vor ganz anders, sondern es gibt auch einen massiven backlash, wenn man so will. Ich meine, es verkauft sich eigentlich genau die singulär produzierte einzigartige Malerei so gut wie noch nie. Hier boomt das Bild des einsamen Künstlers, dem was einfällt, das er dann großartig inszeniert, der in gewisser Weise auch als solches in seiner Einzigartigkeit und seiner trademark vermarktet wird – das geht unglaublich gut.
WgK: Eine weitere Frage ist, ob nicht gerade ein Kunstwerk, bei dem die Form im Vordergrund steht, sehr stark wirken kann und zwar auch dort, wo es um gesellschaftspolitische Fragen geht.
Uns scheint, es herrsche die Meinung, dass nicht-partizipatorische Kunst oder Kunst, die sich nicht in direkt erkennbarem Zusammenhang mit Politik beschäftigt, dass solche Kunst nicht so viel mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu tun hätte.
Edlinger: Ich glaube nicht, dass es so eine Opposition zwischen Form und Inhalt gibt, dass man das nicht so auseinander dröseln kann und dass beide Dinge voneinander unabhängig in einem ästhetischen Verfahren existieren können.
WgK: Dann lassen Sie es uns mal nicht so sehr an der Frage von Form und Inhalt festmachen, sondern darüber sprechen, dass die Kunstkritik heute eine relativ eindeutige Erklärbarkeit von Kunst fordert, am besten gleich im Werk mitgeliefert. Es soll eine klare Aussage darin liegen, die möglichst auch noch beweist, dass sie gesellschaftlich relevant ist.
Edlinger: Was wäre die Alternative dazu?
WgK: Aussagen, von denen man nicht sagen kann: „das ist jetzt dezidiert politisch“ oder „es hat die oder jene Aussage“ sondern vielleicht doch die irrationaleren Kunstwerke, die nicht informieren, sondern ihren Betrachter auf einem anderen Weg treffen, etwas in ihm entfachen …oder die vielleicht auch ratlos machen, ohne immer sofort eine Antwort zu geben.
Edlinger: Es gibt ja diese ganze mit „starken“ Zeichen operierende Provokationskunst, das gibt es ja alles, das existiert ja auch alles. Es ist ja nicht so, dass das nicht mehr erwünscht wäre, das würde ich ganz im Gegenteil sehen. Ich glaube da wäre vielleicht die Karriere von so jemandem wie Christoph Schlingensief interessant, der kann sich ja vor Aufträgen nicht mehr retten. Gerade deshalb, weil er so eine gewisse Drastik der Mittel und sowas enfant terrible-mäßiges hat. Das funktioniert, und nämlich auch mit dieser ganzen Hermetik, mit dem eben genannten Irrationalismus, mit dieser Abweisung von Erklärungen. Das funktioniert sehr gut. Jemand anderer wäre Jonathan Meese. Das sind ja ganz berühmte, im Zentrum stehende Künstler, die eine unglaubliche Karriere hinlegen und die riesigsten Häuser bespielen.
Der Kunstmarkt selbst ist ja auch in sich total zersplittert. Zum Beispiel war ich bei der Eröffnung von der Leipziger-Schule-Ausstellung in der Samlung Essl. Ich meine, das war knallvoll dort und ich kannte niemanden. Da waren aber Hunderte von Leuten.
Das ist so eine Form von interessiertem Bürgertum dort, auch älter, da waren fast alle fünfzig plus. Es geht dabei dann eher um Prestige. So wie man eben ein schönes Auto haben will, schreibt man sich auch gerne auf die Kappe, dass man sich für Kunst interessiert. Weil es gesellschaftlich sehr gut angesehen ist, weil es einer der wenigen Bereiche ist, die zumindest den Anschein erwecken, als wären sie nicht einer reinen Effizienzlogik, also einer Geldlogik, unterworfen.
WgK: Was bedeutet Poesie für die Kunst?
Edlinger: Poesie ist für mich ein eher aus der Literaturtheorie kommender Ausdruck, mit dem ich in der Kunst wenig anfangen kann. Ich glaube das meint immer ein kontemplatives Moment, wenn man sagt: „das ist poetisch.“
WgK: Obsession?
Edlinger: Kann ein guter Antrieb sein und ein guter Anstoß für künstlerische Projekte, ist aber glaube ich allein noch zu wenig. Oft wird die Darstellung von Obsession bereits als ausreichend befunden.
WgK: Muss man klug sein, um gute Kunst zu machen?
Edlinger: Man muss jetzt keinen Intelligenztest machen, aber ich glaube man muss schon… interessiert sein an der Kunst und an anderen Bereichen der Welt. Ich glaube nicht, dass man gute Kunst abgeschottet – also in diesem Sinne „dumm“ – machen kann.
WgK: Muss man klug sein, um gute Kunst zu verstehen?
Edlinger: Ich glaube, dass gute Kunst immer auf mehreren Ebenen funktioniert. Insofern bietet gute Kunst dann verschiedene Lesarten, macht verschiedene Leseangebote. Ich würde sagen: je größer die Differenzierungsfähigkeit, desto größer auch das Interesse für bestimmte Felder, und je mehr Wissen um bestimmte Verfahrensweisen, desto reichhaltiger wird das, was man sehen oder erfahren kann. Das ist glaube ich in allen Bereichen so, auch wenn man sich mit Politik beschäftigt, mit Film, oder mit Fußball.
WgK: Emotion in der Kunst? Was hat die für einen Stellenwert?
Edlinger: Wahrscheinlich für die meisten Leute fast eine Grundbedingung, spielt also eine große Rolle. Wenn etwas nicht emotionalisiert ist, gilt es als nicht gute Kunst, weil sie nicht berührt. Ich glaube aber, dass das ein wenig einschränkend ist, weil es einfach künstlerische Praktiken gibt, die nicht auf eine Emotionalisierung abzielen. Das ist ja das Interessante an der Kunst, dass Kunst immer das ist, wovon Leute beschließen, dass sie es ist. Es gibt ja niemanden, der es einfach bestimmen kann, das heißt der Kunstbegriff ist notwendigerweise immer umstritten, und so gesehen gibt es natürlich auch künstlerische Praktiken, die wenig auf unmittelbare emotionale Erfahrung abzielen, sondern eher auf eine Darstellung mit verschiedenen medialen Mitteln. Das ist dann sehr ähnlich wie bei einer wissenschaftlichen Dokumentation, die ja auch nicht in erster Linie auf Emotionalisierung abzielt.
WgK: Und was leistet die künstlerische Version dann mehr als eine wissenschaftliche Dokumentation?
Edlinger: Unter Umständen leistet sie gar nicht mehr, außer, dass sie existiert. Also außer, dass es sie halt gibt an einem anderen Ort und dass sie andere Leute erreicht.
WgK: Kann man Kunst auch als Beruf ausüben, oder ist das Berufung?
Edlinger: Kann man ganz sicher als Beruf ausüben. Das Gerede von der Berufung ist mir persönlich zu nahe an dem Gerede vom Genie.
WgK: Was finden Sie scheiße an Kunst?
Edlinger: Wenn sie mich peinlich berührt. Wenn sie mich peinlich berührt in dem Sinn, dass sie mit großer Geste etwas behauptet, wo mir die Grausbirnen aufsteigen. Zum Beispiel wenn jemand mit großer Geste so ungebrochen den Malerfürsten heraushängen lässt, das finde ich in gewisser Weise auch dumme Kunst.
WgK: Was ist die wichtigste Lektion, die Sie in ihrem Leben gelernt haben?
Edlinger: Das kann ich gar nicht so beantworten. Ich glaube, da würde ich vielleicht sogar sagen, ich bin vielleicht ganz froh darüber, dass ich die noch gar nicht gelernt habe.
WgK: Wie wird man glücklich im Leben?
Edlinger: Durch Vermeidung von zuviel Unglück. Ich glaube es gibt überhaupt gar keine dauerhafte Form von Glück, sondern man muss Strategien entwickeln, um dauerhaftes Unglück abzuwenden. Glück ist immer ein Ausnahmezustand.
Ganz abgesehen davon glaube ich, dass ‚Glück’ und ‚Unglück’ zu sehr existenzialisierte oder individualisierte Begriffe sind, die davon ablenken, dass Glück und Unglück vor allem gesellschaftlich produziert sind. Womit wir dann wieder beim Politischen der Fragestellung von Glück und Unglück sind.