Interview: Ursula Hübner
/// PDF Printversion /// Autor: admin“Ich hab’ es gern, wenn es irrational wird.“
Wie geht Kunst traf Ursula Hübner am 25. Juli 2006 in ihrer Wohnung / ihrem Atelier in Wien. Das Interview führten Conny Habbel und Marlene Haderer.
WgK: Welches Kunstwerk hat dich in deinem Leben besonders beeindruckt?
Hübner: Es gibt natürlich mehrere Phasen in meinem Leben, die mit unterschiedlichen Kunstwerken verbunden sind. Ganz spontan fällt mir das Wuppertaler Tanztheater ein, Pina Bausch. In den späten siebziger, den frühen achziger Jahren. Das war überwältigend für mich, und das Interessante ist, dass es keine Malerei war, sondern Tanz und Bewegung. Es ging um eine Darstellung von Gefühlen und Ängsten – von Menschen, von Männern und Frauen in einer Gleichwertigkeit. Es war sehr schwierig für mich als Frau in der Kunst, Anknüpfungspunkte zu finden. Vor allem die Malerei ist ja absolut männerdominiert.
WgK: Fällt dir noch ein Kunstwerk aus jüngerer Zeit ein?
Hübner: Sehr interessiert und fasziniert haben mich die Bilder von Michael Radecker, einem Maler, den ich nicht kannte und dessen Bilder ich in der Kunstzeitschrift Parkett entdeckt habe. Diese Bilder haben mich irritiert und ich habe mir gedacht: „Das ist aber komische Malerei!“
WgK: Wie kann man sich seine Malerei vorstellen?
Hübner: Am einfachsten beschreibt man seine Arbeiten so: Das ist der, der seine Bilder auch näht. Leere Szenen, trostlose, leere Räume, eine Fluglandebahn mit Unkraut, der Blick auf eine Garage, der Blick aus einer Erdhöhle in den Nachthimmel – alles menschenleer. Eine interessante, eigenwillige und unaufgeregte Arbeit, genau in dem Segment, das mich auch interessiert: Die Verlassenheit, das Melancholische, getragen von Witz und der Liebe fürs Detail.
WgK: Kannst Du schlagwortartig definieren was für dich gute Kunst ist?
Hübner: Gute Kunst ist dann gegeben, wenn man plötzlich einen anderen Blick auf das Leben werfen kann. Wenn ein Künstler einem die Augen öffnet für etwas, das man vorher nicht gesehen hat. In Literatur und Musik ist das genauso. Diese Sprünge, das sind herausragende Momente.
WgK: Würdest du sagen, dass Kunst der Gesellschaft etwas bringt?
Hübner: Man müsste nur die Gegenfrage stellen: Man müsste brutal sein und alle Kunst, die es irgendwo gibt, verschwinden lassen. Wenn man dann schaut was übrig bliebe, dann würde man sehen, dass es natürlich von Bedeutung ist. Die Leute, die sich nicht mit Kunst befassen, können vielleicht nicht sehen, was alles im kreativen Prozess entstanden ist. Gutes Design ist auch Kunst, oder gute Architektur. Wir leben umgeben von Architektur – was es für einen bringt, wenn man auf einen guten Platz kommt! Du gehst nach Krakau auf den wunderschönen Hauptplatz oder nach Salzburg auf den Residenzplatz, oder du betrittst so einen Platz durch Arkaden: du gehst anders, du bewegst dich anders; du bekommst ein anderes Gefühl von Dir, wenn du auf ein Hochhaus rauffährst. Das kannst du mögen oder nicht.
Was bringt es wenn ich Bilder male? Ich kann sagen es ist wichtig, aber ich hab’ keine Chance es zu beweisen, und es ist vielleicht überhaupt nicht relevant. Die Frage stelle ich mir gar nicht, weil ich nicht nur auf die Welt gekommen bin um die Welt zu verbessern.
WgK: Was kann Kunst, das andere Disziplinen nicht können?
Hübner: Die Kunst ist nicht messbar wie die Wissenschaft. Dort ist es so: Du sammelst, du archivierst, du musst den letzten wissenschaftlichen Stand kennen, damit du den nächsten Schritt machen kannst. Es gibt möglicherweise „wahr“ und „falsch“, wobei aber selbst hier nicht klar ist, ob sich die Leute nicht geirrt haben.
Die Kunst ist im Grunde nicht erklärbar. Was emotional bewegt, kannst du nicht erklären. Du kannst versuchen, es zu beschreiben, sagen: das ist neu, das hab’ ich so noch nicht gesehen, beschreiben, wieso es dich berührt.
WgK: Kann es sein, dass eben das Besondere an der Kunst ist – dass sie berühren kann?
Hübner: Da würden manche bestreiten. Es gibt in der Kunst eine Tendenz, sie intellektualisieren zu wollen anstatt ihre Emotionalität hervorzuheben. Ich finde, es gibt Leute, die sehr emotional arbeiten und ihre Kunst ist trotzdem nicht gut, und es gibt auf der anderen Seite sehr gute intellektuelle Kunst.
WgK: Fällt dir ein gutes Beispiel ein?
Hübner: Es gibt Kunst, die politische Phänomene aufzeigen und soziale Missstände beheben möchte. Wenn das auf eine Weise passiert, die noch einen überraschenden Moment beinhaltet, finde ich es gut: Wenn es nicht zumindest irgendein kreatives Moment spüren lässt, finde ich es nicht so gut.
WgK: Woher kommt es, dass die intellektuelle Kunst so gefragt ist?
Hübner: Ich glaube, dass die Theoretiker im Moment die Oberhand haben. Wir leben in einer sehr intellektualisierten Zeit – wir im Westen jedenfalls. In Afrika oder in Südamerika ist vielleicht etwas ganz anderes am Laufen. Ich glaube, die Kunstvermittler haben aus irgendwelchen Gründen ihre Rolle – im Zusammenspiel von Produzenten, Kuratoren, Kritikern, Ausstellungsmachern und Politikern – sehr gestärkt. Es wurden Berufe erfunden, die Kuratoren zum Beispiel: die haben eine wichtige Rolle, aber manche sind sehr risikoarm, und wenn sie eine Arbeit vorgesetzt bekommen, die eine intellektuelle Herangehensweise ermöglicht, die ihnen schnell sagt: in dieser Arbeit geht es um Migrantenströme im vorigen Jahrhundert in Afrika, in dem Moment wo sie ein Thema so geliefert bekommen, werden sie es eher befürworten als ein Bild, das eine schöne Frau abbildet. Denn eine schöne Frau abzubilden ist überhaupt nicht mehr politically correct. Du bist nicht so leicht angreifbar wenn du soziale Ungerechtigkeit aufdeckst. Schöne Menschen sind von der Werbung vereinnahmt, die Werbung hat sich sehr stark um Emotionen gekümmert.
WgK: Das Schöne ist vereinnahmt, für die Kunst bleibt nun das Hässliche und Langweilige?
Hübner: Das glaube ich auch wieder nicht, aber die Hülle, die Oberfläche und alles, das uns wohlig umgeben kann – davon ist wahnsinnig viel von anderer Seite abgedeckt.
WgK: Mit welchen Themen kommt man garantiert nicht an?
Hübner: Sehr viele Künstler verlassen, was sie ursprünglich machen wollten, zugunsten einer möglichen Teilnahme. Das ist einerseits zu verstehen: man muss wahrgenommen werden.
Ich glaube, man kann da nur den Tipp geben: wenn man ein Thema verfolgt – abwarten, bis das Thema kommt. Und man darf nicht zu schüchtern sein.
WgK: Muss man überhaupt immer ein „Thema“ haben, muss man immer erklären können, was man macht?
Hübner: Es ist so interessant, ich habe unlängst einen Künstler kennengelernt: Marcin Maciejowski aus Polen. Das Interessante war, er konnte nicht über seine eigene Arbeit reden, trotzdem malt er ganz tolle Bilder. Sehr oft bemerkt man diese Diskrepanz zwischen denen, die über ihre Bilder reden können und wo oft die Arbeiten nicht so gut sind, und denen, die gar keine Erklärungsmöglichkeiten suchen. Fast sieht es so aus, als ob denen mehr Kraft frei bliebe, weil sie sich nicht darum kümmern, was die anderen über ihre Bilder denken. Das ist der große Zwiespalt – auch bei der Ausbildung von jungen Menschen. Einerseits findet man es gut, dass sie sich nicht viel scheren, andererseits ist es auch ein Problem, wenn man sich nicht umschaut. Ich bin da sehr halbe – halbe.
Wahrscheinlich ist es das Wichtigste, dass man sich umschaut, dass man Freude hat an dem, was man macht, und dass man weiß, was schon an künstlerischer Produktion da war. Was spannend ist, ist: was wird wieder Neues entstehen? Weil es wird wieder etwas Neues entstehen…
WgK: Was, glaubst Du, kommt?
Hübner: Es wird wahrscheinlich mit einer Lebensform zu tun haben…
Was ich mir wünschen würde ist, dass die jungen Leute Formen finden – und ich glaube, dass das über die Kunst laufen kann – miteinander in Kontakt zu sein, Vorurteile und Rassismus abzubauen. Wenn man sich vorstellt, wie Leute im Internet kommunizieren können, auf der ganzen Welt können sie sich zu bestimmten Themen miteinander finden, hier sitzt einer und im Iran sitzt einer. Religiöse Vorurteile zu überwinden ist heute die große Schwierigkeit. Dass junge Leute über diese Räume, die sich eröffnen, neue Lebensformen finden – das ist möglich. Als ich studiert habe, hat man das World Wide Web zum Beispiel noch nicht gekannt. Irgendwas wird sich sicher verändern. Es muss die Möglichkeiten des Wahrnehmens und des Handelns verändern.
WgK: Partizipation und Interaktivität – was hältst du davon?
Hübner: Ich kann mir ja immer nur schwer vorstellen, dass jemand Interesse hat an einem interaktiven Kunstwerk. Ich kenne wenige Kunstwerke, die mich interessiert hätten, wo es um Interaktivität gegangen wäre oder um Partizipation, aber ich bin da auch nicht die Spezialistin.
Ich komme aus dem Theater und da gab es ja frühe Formen, bei denen die Schauspieler ins Publikum gegangen sind oder die Leute sonst wie einbezogen wurden. Das hab’ ich immer sehr komisch gefunden. Das hat für mich, wenn, dann den Reiz von einem Spiel, wenn ich mich in eine Situation hineinbegebe, wo etwas interaktiv funktioniert. Du gehst hinein, du bist eine Spielfigur und kannst selber etwas erleben.
WgK: Wir denken, dass es grade Trend ist, dass Kunstwerke partizipatorisch sein müssen: Der Autor darf sich nicht so machoistisch aufdrängen, sondern jeder darf mitmachen.
Hübner: Ich glaube, wir leben in einer Zeit, in der so viele Strömungen gleichzeitig möglich sind, wie nie zuvor. Es gibt ein unglaublich breites Feld. Es gibt die Möglichkeit, dass du Bilder malst und verkaufst, es gibt die Möglichkeit, dass du Kunst im öffentlichen Raum machst, es gibt die Möglichkeit für Vieles. Und es gab in der Kunst Typen, die sich irrsinnig aufgespielt haben, die Malerfürsten und Leute, die mit Klunker herumgelaufen sind, und dann gibt es Preise für Bilder wo man sich denkt: „Das darf ja wohl nicht wahr sein!“ Oder es gibt Künstler, die Wartelisten haben für ihre Bilder, die dann von allen möglichen Galeristen umstreichelt werden – dass das auch unsympathisch sein kann, das muss einem schon klar sein. Da landest du in einem Segment von Privatsammlern – darunter gibt es ganz komische – welche die Drogengelder reinwaschen und Ähnliches. In der Kunst gibt es sehr viel Gut und Böse nebeneinander.
WgK: Wie gewichtest du Form und Inhalt in der Kunst?
Hübner: Gute Form ist nur mit richtigem Inhalt möglich. Das bedingt einander.
WgK: Rationalität – Irrationalität, was fällt dir dazu ein?
Hübner: Ich hab’ es gern, wenn es irrational wird.
WgK: Ist deine Kunst politisch ambitioniert?
Hübner: Vielleicht mehr als man das glauben würde. Für mich ist es schon so, dass ich durchaus mit meinen Arbeiten eine Lebenshaltung mittransportiere. Das ist auf jeden Fall nicht unpolitisch.
WgK: Was inspiriert dich?
Hübner: Momentan inspiriert mich Ruhe, weil ich so viel in Aktivitäten stecke. Und es inspiriert mich, andere Kunst zu sehen oder gute Erlebnisse zu haben.
WgK: Muss man klug sein, um gute Kunst zu machen?
Hübner: Ja. Ich glaube aber, in dem Fall hat Klugsein nichts damit zu tun, viel Wissen angehäuft zu haben. Es geht darum, dass man das, was man sieht, klug umsetzt.
WgK: Was macht einen Künstler aus?
Einen guten Künstler macht mit Sicherheit aus, dass es für ihn extrem wichtig ist, Kunst zu machen, dass er keine Zweifel hat und dass er aktiv ist.
Das bedeutet nicht, dass man ständig produzieren kann oder muss, sondern dass man immer in Verbindung bleibt mit der Kunst, dass man sich immer bereithält.
Vielleicht ist es in der Kunst wie bei der Liebe: Das muss man nicht erklären, da ist eine Verbindung da. Und vielleicht ist das auch ein Problem für Partnerschaften. Dieses starke Interesse und diese starke Verbundenheit mit der Kunst können zum Problem werden. Vielleicht gibt es ein gutes nebeneinander-her-Leben, vielleicht gibt es ein gutes miteinander Kooperieren… vielleicht sind da aber auch meine Vorstellungen etwas verschroben. Mir hat es jedenfalls immer wahnsinnig viel Energie abgezogen, wenn ich in einer Liebesgeschichte drinnen war.
Hübner: Durch meine Arbeit als Professorin habe ich gelernt, dass es ganz unterschiedliche Gemüter gibt in der Kunst. Manche sind introvertiert, manche extrovertiert; es gibt Intuitive und manche, die durch Üben und Technik zu einem guten Ergebnis kommen.
Bei der Malerei musst du verschwinden können hinter allem anderen. Malen ist so, als wenn du in eine Höhle gehen und sie hinter dir verschließen würdest. Ich hab’ mir immer gedacht, wenn ich ein Kind hätte, und das käme zur Ateliertüre rein und sieht, dass ich auf Hundert bin… das wäre schrecklich… für das Kind.
WgK: Kann man mit der Kunst so glücklich werden wie in der Partnerschaft?
Hübner: Es gibt Höhen und Tiefen wie überall. Aber es gibt ja doch genügend Künstler, die Partnerschaften haben.
WgK: Kann man Kunst auch als Beruf ausüben oder muss es eine Berufung sein?
Hübner: Ich würde fast sagen es geht nur als Berufung – also es geht nicht, Kunst als normalen Beruf zu betrachten. Es ist eine sehr risikoreiche Geschichte und man muss von Anfang an sehr idealistisch sein, damit man sich darauf überhaupt einlässt. Und da muss man sich schon berufen fühlen.
WgK: Ist Kunstmachen manchmal auch schwierig und anstrengend für dich?
Hübner: Für mich ist es einer der schönsten Zustände – wenn es funktioniert. Wenn man im Arbeiten gut drinnen ist, dann ist es eine umfassende Tätigkeit. Du bist so angeregt, du bist so herausgefordert! Wenn das Ergebnis gefällt ist es super, und wenn es nicht gut ist, dann ist es ein Ansporn. Allein diese Aufgabe vor sich zu haben ist eine Möglichkeit, das Leben zu bewältigen. Wir leben davon, dass wir uns herausfordern.
WgK: Wann findest du Kunst scheiße?
Hübner: Wenn es Kunst ist, finde ich es nie scheiße. Wenn es sich unter dem Label „Kunst“ verkauft, total öd ist und sieben Mal ums Eck gedacht ist, dann finde ich es scheiße.
Oder wenn sich Arroganz bei Künstlern breit macht und sie Unverständnis sofort zu ihren Gunsten auslegen. So wie es oft im öffentlichen Raum passiert: Die Leute sind überfordert von dem, was sie da hingeknallt bekommen.
WgK: Was ist die wichtigste Lektion, die du gelernt hast?
Hübner: Meinem Instinkt zu gehorchen.
Wenn man so etwas wie die Möglichkeit zu einer spielerischen Haltung hat, dann soll man sich nicht zu Ernsthaftigkeit zwingen lassen.
WgK: Wie wird man glücklich im Leben?
Hübner: Wenn man das findet, was zu einem selber passt. Den Beruf, den Partner, die Lebensform. Authentizität ist so ein Wort, das mir diesbezüglich einfällt: Wenn man es schafft, die Menschen zu finden, die das eigene Lebensgefühl mit einem teilen.
Es ist wichtig, dass man Menschen trifft, die großzügig und tolerant sein können. Die gibt es sicher nicht nur in der Kunst, aber ich habe, als ich in das Milieu eingestiegen bin, Freiheiten gefunden, die ich vorher nicht hatte.