Interview: Vitus H. Weh

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Es gibt trotzdem gute Kunst.


Wie geht Kunst traf den Wiener Kulturwissenschaftler Vitus H. Weh am 25. Juli 2006 in seiner Wohnung in Wien. Das Interview führten Conny Habbel und Marlene Haderer.

WgK: Welches Kunstwerk hat dich in deinem Leben besonders beeindruckt?

Weh: Ich glaube, das sind bei vielen Menschen die ersten Kunstwerke, die sie gesehen haben. Bei mir war es das Deckenbild meiner Taufkirche und das war nicht so sehr ein Kunstwerk, wie ich es heute rezipieren würde, sondern eigentlich eine Art Bilderfibel mit unglaublich vielen einzelnen Geschichten, mehr oder weniger emblematischen Bildern, da konnte ich immer lange drüber nachdenken, was sie eigentlich bedeuten und sie blieben mir immer ein bisschen rätselhaft. Wahrscheinlich hat das meine Rezeption von Kunst auch stark geprägt, dass ich nach dem Rätsel in der Kunst suche und mir Geschichten dazu ausdenke.

WgK: Was ist deine Definition von guter Kunst?

Weh: Sie sollte mich gut unterhalten, mir Spaß machen, mich faszinieren und sich visuell einprägen, wenn es sich um bildenden Kunst handelt.

WgK: Was bringt Kunst der Gesellschaft?

Weh: Insgesamt nichts.

WgK: Und warum?

Weh: Weil, die Antwort war so abrupt… sie bringt sicher nichts als Ganzes der ganzen Gesellschaft, sie ist einfach ein subjektives Luxusgut, das wunderschön ist für viele von uns, aber der Gesellschaft nicht mehr bringt als gute Unterhaltung.

WgK: Was kann Kunst, das andere Disziplinen nicht können?

Weh: Bildende Kunst – ich versuche da immer präzise zu sein – vermag es, wenn sie gelingt, viele Geschichten auf einen Punkt zusammenzuballen. Dadurch entsteht eine Kristallisierungssituation von Energie, Kraft und Geschichten. Diese Bilder kann man mit sich tragen durch die Erinnerungen, man kann sie immer wieder aufsuchen, das ist etwas ganz Tolles, immer wieder ins Kunsthistorische Museum zu gehen und immer das gleiche Bild anzuschauen, wie es Thomas Bernhard erzählt hat.

Die meisten Besucher gehen in Museen oder Galerien, weil sie die Menschen spüren wollen, weil sie Menschen nahe kommen wollen, weil sie mit einem fremden Menschen irgendwie in Kontakt kommen wollen und die Hoffnung haben, hier, über das Medium der Kunst einen Zugang zu finden.

WgK: Soll sich Kunst mit Politik auseinandersetzen?

Weh: Sie darf sich mit allem auseinandersetzen, sollen würd’ ich auf keinen Fall sagen.

WgK: Hat Kunst eine soziale Verpflichtung?

Weh: Nein.

WgK: Was hältst du vom Geniebegriff?

Weh: Ganz fatal, also für mich ist jeder der selber malt und selber Holzschnitte produziert oder Sachen bastelt näher am Künstler als jemand, der irgendeinem vermeintlichen Genie Würdigungen erteilt. Ich glaube aber, die meisten Museen funktionieren nach wie vor wie Kirchen, wo man hingeht um sich tief zu verneigen vor großen oder vermeintlich großen Dingen und Taten. Jeder, der selber einmal ein Bild gemalt hat, weiß wie viel Spaß das machen kann und man sollte immer davon ausgehen, dass das bei den Künstlern die in den Museen hängen auch so ist und dass eigentlich keine große Notwendigkeit besteht, in eine Verehrungshaltung zu verfallen.

WgK: Haben Kunstwerke für dich eine „Aura“?

Weh: Natürlich hat ein Kunstwerk, wenn man es persönlich auflädt, eine Aura. Kunst an sich nicht. Ich kann jedes Ding mit einer Aura aufladen, eine Kaffeekanne, die mir viel bedeutet ist auratisch und wenn das Objekt meiner Begierde ein Porsche ist, dann teilen das viele Leute mit mir, bei der Kaffeekanne wahrscheinlich nicht, aber es gibt immer Objekte der Begierde, die dann auratisch werden. Kunst per se hat natürlich überhaupt keine Aura, das ist eine völlig hysterische Übererwartung der bildenden Kunst gegenüber, die sich in den letzten Jahrzehnten erst aufgebaut hat.

WgK: Wie war das davor?

Weh: Natürlich gab es schon im neunzehnten Jahrhundert im Historismus einen gewissen Geniekult, ganz stark mit der Dürerverehrung. Die Romantik ist stark schuldig daran, dass es diesen Geniebegriff gab.

WgK: Ist es nicht so, dass sich in den letzten Jahrzehnten im Kunstbereich ganz im Gegenteil eine Haltung eingestellt hat, die den Geniebegriff verworfen hat? Dass stattdessen ein stark demokratisches, partizipatorisches Kunstideal aufkam und die Vorstellung eines rätselhaften Genies im Künstler absolut verpönt ist? Dass von Kunst eben gerade gefordert wird, sich nicht auratisch zu inszenieren, sondern zielstrebig politisch zu sein oder zumindest ganz konkret jemandem ‚etwas zu bringen’?

Weh: Da muss man unterscheiden zwischen der künstlerischen Intention und der Rezeption des Publikums. Künstler, da habt ihr völlig Recht, intendieren in den letzten Jahrzehnten ganz stark eine politische, soziale Wirkung: eine Aufklärung über Migration, Gender-Diskussionen, über politische Sachverhalte. Rezipiert wird Kunst aber heute wie im neunzehnten Jahrhundert. Es gibt ja im Grunde keinerlei Aufklärungseffekte durch Kunstwerke, Picassos Guernica fällt mir da vielleicht noch ein, aber das ist vielleicht auch das Einzige. Selbst die Aufklärungsbilder von Manet oder auch die Erschießung von den Aufständischen von Goya werden ja nicht mehr als politisch wirkende oder soziale Bilder aufgenommen, sondern als Kunstwerke: Dinge die man bewundern soll, die aber nicht mehr wirken müssen. Und in den heutigen Museen, oder Gallerien funktioniert es exakt gleich, da geht ja niemand hin, der sich aufrütteln lassen will, der erst noch zu belehren sein müsste über postcolonial studies, und so weiter. Ich bezweifle auch, wenn man heute ins MuMok geht und sich zum Beispiel die Ausstellung über Fotografie „Why Pictures Now“ ansieht, dass die dort massiv vertretene postkoloniale Thematik in irgendeiner Weise aufklärt.

Die größte Wirkung, die über Bilder erzielt werden kann, ist über eine Berichterstattung im Fernsehen über die Tsunami Opfer oder das Abschlachten in Nigeria und so weiter, da gehen Spendengelder ein, mit diesem Geld kann man dann was tun. Und es ist sicherlich aufklärerischer im Radio oder in der Zeitung über einen Konfliktfall zu schreiben und Hintergründe aufzuklären, warum es in Israel, im Libanon und in Palästina ständig kracht, als ein Werk in einer Kunsthalle zu sehen.

WgK: Was hältst du von Partizipation? Das ist ja auch ein weiterer Trend…

Weh: Partizipation ist am besten, wenn sie Bilder selber malen – Leute die ins Museum gehen, sollen Bilder malen. Wenn sie Bilder gut finden, sollen sie eines malen.

WgK: Es gibt ja viele Kunstwerke in der Art: ‚gemeinsames Kochen in irgendeiner Sozialeinrichtung’ und so weiter…

Weh: Das ist sicher toll, wir können auch mal zusammen kochen, aber ich brauch’ es nicht zum Kunstwerk zu erklären. Es ist auf jeden Fall gut mit anderen Leuten zu basteln, Partys zu feiern, zu kochen, Haare zu färben…

WgK: Es gibt ja dieses Vorurteil, dass man aktiver ist, wenn man bei einem Kunstwerk irgendwo einen Knopf drücken kann, anstatt einfach nur ein Bild anzuschauen.

Weh: Sind ein bisschen doofe Träume eigentlich, die Leute zu animieren, irgendetwas zu tun. Wir sind ja nicht blöd. Partizipative Kunst hält das Publikum meistens für blöder, als es ist.

WgK: Wie gewichtest du Form und Inhalt in der bildenden Kunst?

Weh: Form ist das wichtigste.

WgK: Das ist eine recht unzeitgemäße Haltung, oder?

Weh: Es geht immer um beides, Kunst muss auch interessant sein, damit sie nachhaltig ist. Nur schön ist fad, aber ich brauch’ nicht das Konzept in den Vordergrund zu stellen, sondern im Vordergrund steht natürlich die Form, in der der ganze Inhalt geronnen, und zur verdichteten Poesie geworden ist. Das hört sich alles so blöd an, weil’s einfach schon so alt ist als Konzept, aber es bleibt trotzdem für mich eine ganz klare Geschichte: All die Ideen, die man so damit hat – wenn das nicht zu einer guten Form geronnen ist, dann bringt’s nichts. Und umgekehrt, eine schöne Form, die keinerlei Phantasien mit sich bringt, keinerlei Geschichten umlagern hat – seien sie intendiert oder seien sie zuschreibbar – das ist auch nichts, da kann ich ja gleich eine Raufasertapete aufkleben. Auch über die Raufasertapete lassen sich viele Geschichten erzählen, ist ja auch irgendwann erfunden worden, und so weiter. Aber darüber sollten Kunstwerke natürlich hinausragen.

WgK: Hast du auch das Gefühl, dass die momentane Kunstkritik sich stark auf den Inhalt fokussiert?

Weh: Das muss immer schon so gewesen sein, denn ein Kunstkritiker kann schwer über die Form schreiben, er müsste sie nacherzählen, also wird er sich auf die Inhaltlichkeit verlegen, worüber ja auch viel zu sagen ist, aber man trifft natürlich nicht den eigentlichen Kern des Werkes – warum es toll ist, es anzuschauen oder warum es toll ist, es zu besitzen.

WgK: Wie gewichtest du Rationalität und Irrationalität in der Kunst?

Weh: Irrationalität ist immer super. Wenn man ein rationales Bild machen will, sollte man dokumentarische Fotos machen, aber es gibt viel mehr Möglichkeiten.

Ich hab in meiner Wohnung Dinge, die in einem gewissen Sinne irrational und schön sind. Und dann hab ich Bücher, wenn ich Geschichten lesen will, dann nehm’ ich mir ein Buch. Wenn ich mir diese ganzen Zündung von Welt, diese Zündung eines poetischen Funkens suche, dann schau ich mir ein Bild an oder lese ein Gedicht.

WgK: Und wie rational oder irrational darf der Künstler auch selbst arbeiten…?

Weh: Allzu viel in diese Konzeptphantasien reinzugeben ist natürlich fad. Irgendwo muss man ja im Irrationalen den Weg beschreiten und einen Salto machen. Es geht nicht darum, die Konzepte, den Weg abzubilden und ihn als das Kunstwerk zu behaupten. Das ist in meinen Augen meistens furchtbar langweilig.

WgK: Und glaubst du nicht, dass in vielen Institutionen – nehmen wir mal als Beispiel das Wiener WUK und Vergleichbares – solche poetischen Salti überhaupt nicht gewünscht sind und stattdessen eine Eins-zu-Eins-Erklärbarkeit verlangt wird?

Weh: Das ist eine völlig persönliche Sicht von euch als junge Künstlerinnen. Die Kräfteverhältnisse, sowohl budgetär als auch das was das Publikum überhaupt wahrnimmt sind Welten. Das WUK ist eine absolut marginalisierte Position innerhalb des österreichischen Kunstbetriebes. Die können ja machen was sie wollen! Im Verhältnis zur Albertina, zum Oberen Belvedere, zum MuMok, zur Kunsthalle und so weiter, wo man sozusagen die homogene Alltagssauce hat, ist es ja wunderbar, dass es im Wuk mal was anderes zu sehen gibt. Das eine ist eine kleine Experimentierbühne, das andere ist das große subventionierte Schlachtschiff. Oder zum Beispiel in Linz: Eine Hellwein-Ausstellung zu machen im Lentos ist ja unheimlich fad, jede Ausstellung im Kunstraum Goethestrasse ist natürlich gewagter. Selbst eine Matt Mullican Ausstellung ist fad, daran ist nichts gewagt.

Man kann sich natürlich darüber wundern, dass es nichts dazwischen gibt und jetzt weiß man natürlich nicht als junge Künstlerin, was man eigentlich machen soll.

WgK: Du hast gerade gesagt, dass das ‚gewagt’ ist. Aber das ist es ja gerade, was uns so anödet: Dass es in diesem Kunstsegment eben rein gar nicht ‚gewagt’ ist, partizipative Kunst zum Thema Gender, Migration und dergleichen zu machen. In diesem Segment läuft es ja schon sehr lange nach genau dem Schema und es ist völlig klar, welche Stichworte du liefern musst, damit du denen das gibst, was sie hören wollen, um sich progressiv zu fühlen.

Weh: Ja, also natürlich ist die Abgesichertheit dieser Position in so einem kleinen Soziotop auch sehr stark, es gibt natürlich eine Gruppe an Leuten, die das tragen. Da ist man ganz sicher und kann sich pudelwohl fühlen. Es gibt Zeitschriften, die das mittragen, es gibt auch ein Budget, das das mitträgt und man ist jetzt nicht der Korsar der Meere und der wahnsinnig mutige Bohèmien, das will ich auch nicht behaupten, dieser Punkt interessiert mich überhaupt nicht, ob man jetzt besonders mutig ist, das ist für mich keine Kategorie. Wenn da Leute sind, die sich für diese gender- oder postcolonial studies und so weiter interessieren, was es schon seit zwanzig Jahren gibt, dann ist es wunderbar, dass es dafür auch Orte und Zeitschriften gibt.

Die Inhalte, die in der Kunst als wichtig behauptet werden, sind jedoch immer eine Generation zeitversetzt. Jetzt kommen die Leute, die das vor fünfzehn Jahren studiert haben, in lehrende Funktionen und lehren halt das, was sie vor fünfzehn Jahren interessiert hat. Und damals war Gender noch ganz heiß, noch unbekannt und aufregend. Mittlerweile ist das nicht mehr so aufregend, aber die Experten sind zu Lehrenden geworden und so weiter.

WgK: Lass uns mit ein paar Stichworten weitermachen. Beginnen wir mit ‚Poesie’.

Weh: Komprimiertes Leben.

WgK: Obsession.

Weh: Treibmittel ins Unbekannte.

 

WgK: Demokratie.

Weh: Derzeitige Regierungsform.

WgK: Aber Demokratie in der Kunst?

Weh: Ach so, in der Kunst… derzeitige Lebensform.

WgK: Muss man klug sein, um gute Kunst zu machen?

Weh: Ja. Weil dumme Kunst meistens unglaublich langweilig ist.

WgK: Muss man klug sein, um gute Kunst zu verstehen?

Weh: Ja, weil gute Kunst meist sehr angereichert ist mit Geschichten, die man nur entziffern und verstehen kann, wenn man klug ist.

WgK: Was macht einen Künstler aus?

Weh: Dass er zu leben weiß.

WgK: Kann man Kunst auch als Beruf machen, oder ist Künstler-Sein eine Berufung?

Weh: Ist absolut klar: Beruf, das ist keine Berufung.

WgK: Muss man glücklich oder traurig sein, um gute Kunst zu machen? Was glaubst du, ist die bessere Antriebskraft?

Weh: Also ich glaub…, man sollte nur vor allen Dingen extrem sein, dann verkauft es sich gut, da ist es interessant. Mellow yellow, mittendrin, sind wir alle und wir suchen alle nach etwas anderem.

WgK: Kann man als Künstler ein bürgerliches Leben führen?

Weh: Ja klar!

WgK: Kann man als Künstler auch Familie haben?

Weh: Natürlich! Viele Kinder sogar. Sollte man auch.

WgK: Wie ist das mit der Präsenz? Muss man wirklich dauernd aufpassen, dass man präsent ist?

Weh: Wenn man erfolgreich sein will auf dem Markt, sollte man präsent sein, ja.

WgK: Das heißt ja dann, man kann sich nie richtig versenken und eine Zeitlang abtauchen…

Weh: Ihr meint jetzt persönlich präsent auf Eröffnungen, und so weiter?

WgK: Auch. Und so richtig neue Wege zu gehen, das kann ja auch mal bedeuten, dass man vielleicht eineinhalb, zwei Jahre zu keinem Produkt kommt, sondern nur probiert, spielt und sich versenkt. Wenn man aber präsent sein soll, kann man sich ja auf solche Wagnisse eigentlich gar nicht mehr einlassen.

Weh: Darum geht’s nicht, es gibt genug Beispiele, dass man erst mit vierzig Künstler wird, oder wahrgenommen wird, oder mit sechzig oder mit siebzig, also ihr könnt euch gerne noch zehn Jahre versenken und dann mit eurer Präsenz beginnen.

WgK: Was findest du scheiße an Kunst?

Weh: Wenn zu sehr Machtspiele dominieren, das find ich ziemlich scheiße, also wenn es einfach nur ums Abstecken von Claims geht, um Raumerweiterungsmachtphantasien von Direktoren, wenn es allzu sehr um Sozietät geht.

WgK: Was ist die wichtigste Lektion, die du in deinem Leben gelernt hast?

Weh: Es gibt trotzdem gute Kunst.

WgK: Die letzte Frage: Wie wird man glücklich im Leben?

Weh: Indem man auf sich schaut, auf sich selbst schaut. Also im Grunde genommen: Schaut mehr auf euer Leben, darauf kommt’s an, und ich glaube auch, dass es das Publikum am meisten interessiert, gelingendes Leben zu sehen und in Kontakt mit einem Menschen zu kommen und zu schauen, was der denkt, was er fühlt und wie er sich ausdrückt. Alles andere – ob du fünf Ausstellungen kuratiert hast oder hundert Texte geschrieben, ob du fünfzig Ausstellungen gemacht hast oder tausend Texte geschrieben – ist völlig egal. Es spielt keine Rolle, ob du zehn Jahre Museumsdirektor warst, oder zwanzig Jahre Museumsdirektor. Das spielt alles keine Rolle, es kommt nur drauf an, ob dein Leben gut war.

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